Abenteuer im Naturkostladen
Eines Tages, als der Aufschnitt aus dem Discounter nach Kopfschmerztablette schmeckte, zog eine aus, das Naturkosten zu lernen...
Eigentlich fand sie die Massentierhaltung und den grenzenlosen Fleischkonsum der westlichen Welt schon immer unsympathisch. Aber dass diese auch bedrohlich fuer die Umwelt und zerstoererisch fuer die Existenz vieler Kleinbauern und Menschen in fernen Laendern ist, ganz zu schweigen von der Umweltzerstoerung, das musste sie als Ottilie-Normalverbraucher erstmal kapieren. Und als sie es kapiert hatte, steckte sie noch viele Jahre den Kopf in den Sand, denn sie dachte...
Im NATURKOSTLADEN wird bloss das Portemonnaie schlanker.
Jetzt war Schluss damit! Der Besuch im Naturkostladen ist zwar auf einmal im Monat beschraenkt, damit das Portemonnaie nicht magersuechtig wird, aber Discounterfleisch war ab sofort vom Speiseplan verbannt. Durch den beschraenkten Genuss von Testosteron und anderen Hormonen, die man mit dem Massenfleisch verzehrt, ist sie auch viel friedfertiger geworden, ein 30 Jahre spaeter aufschiessender Ableger der Friedensbewegung sozusagen...
Schlank wurde leider wirklich nur das Portemonnaie, denn der Naturkostladen ist ein Schlaraffenland, ein Maerchenland fuer Oekos. Allein die Namen der Produkte sind reine Poesie: Zwergenwiese, Sonnentor, Rapunzel, um nur drei zu nennen, manche Sachen kaufte sie nur, weil der Name schmeckte.
Da gab es zum Beispiel Kaese mit Ringelblumen, Topinambur, Wunderland-Weihnachtstee, Bio-Schokokuesse, Humus aus der Morgenland-Produktion, Japanische Tofusteaks Harakiri, Quinoa, ehrliche Kuvertuere, ein grosses Sortiment an Cremes und Seifen mit Rosenoel, Nachtkerzenoel, Sanndornextrakt etc., etc.
Aggressiv wurde sie nur noch, wenn die Schlange am Kaesestand im Naturkostladen so lang war, weil jeder mit grossem Bedacht zig Kaesesorten kaufte und mit der Verkaeuferin noch stundenlang ueber deren Knoblauch- und Suessstoffallergie diskutierte. waehrend die zweite Verkaeuferin immer wieder zu ihrem eigentlichen Bestimmungsort, dem Mueslistand eilte.
Doch dann schob sie sich, um nicht zu explodieren, ein Achtel getrocknete, glutenfreie Feige in den Mund, die zum Probieren auf einem goldenen Tellerchen herumstanden, und beruhigte sich wieder, bis sie dran war. Und dann fand sie es sogar nett, dass die Verkaeuferin auch mit ihr ueber ihre Knoblauchallergie redete.
In dem Naturkostladen waren alle Mitarbeiter immer entspannt und freundlich. Das mussten sie auch sein, denn sonst haette ihnen doch niemand Gurken fuer 2 Euro oder ein Broetchen fuer 1 Euro abgekauft. Aber wahrscheinlich waren die auch Vegetarier und deshalb friedlich.
Es gab sogar eine Besuchertoilette mit einer Duftlampe.
Das aufregendste Abenteuer hatte Ottilie-Normalverbraucherin aber bei der Besichtigung der Tofu-Wuerstchen zu bestehen. Wiener Wuerstchen vom Discounter waren ja schon teuer. Sie aber wollte ihren Kindern schuldlosen Genuss ihres Lieblingsessens ermoeglichen. 400 Gramm Wiener kosten im Discounter ca. 3 Euro, das sind acht Wuerstchen. Aus dem Naturkostladen-Kuehlfach grinsten 4 blasse Tofuwuerstchen herueber und sagten "Kauf uns". Sie schleppte ihren bereits vollen Silberkorb in die Richtung (komisch, hier gabs keine Riesen-Einkaufswagen wie in der Discounter-Welt), fiel aber hintenueber, als sie den Preis an den Tofuwuerstchen entdeckte.
Sie seufzte und ging zur Kasse, nicht ohne noch eine Tuete Dinkelcracker mitgehen zu lassen. Das zweite grosse Abenteuer erwartete sie beim Bezahlen des Inhalts des kleinen Koerbchens. Danach hatte ihr Portemonnaie die Fruehjahrsdiaet im November schon einmal hinter sich.
Mag sein, dass euch ihre Abenteuer bis hierhin etwas langweilig und konsumorientiert erschienen sind. Nur Geduld, die Granatapfelkekse wirken bald, und dann wird sie erzaehlen, wie sie im Naturkostladen GANZ IN RUHE einen gruenen Tee trinken wollte, waehrend die Kinder mit ihren teuren Soja-Eisen ueberall herumschmierten und riefen: "Wann koennen wir endlich Pommes und Cheeseburger essen?" Der Tag ist zum Glueck nicht fern, an dem sie sagen werden: "Mama, gib mal die Dinkelflocken rueber".
Rapunzel schmeckt naemlich wirklich besser. Hmmmm...
Und der Tod von 80.000 Huehnern pro Tag in einem mittleren Fleischproduktionsbetrieb muss nun wirklich nicht sein.
Sie erinnerte sich an Israel, wo es 1988 zum Fruehstueck, Mittag und Abendbrot nur Ei, Weisskaese, Paprika, Joghurt, Obst, Brot und Falafel gab. Das war auch lecker. Eigentlich muessten dort alle sehr friedlich sein. ?
Dabei dachte sie dann auch noch an eine juedische Freundin, die beim Besuch der taiwanesischen Chinesischlehrerin in Paris, Madame Wang, alle kleinen Fleischstueckchen akkurat aus der Fruehlingsrolle popelte, weil sie nur koscher und fleischlos essen wollte...
Shalom !