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Blogger, Weggehen und W.
Von cityscout2, 04.02.2010, 10:26

Kaum zu glauben, aber die Blogger haben ihren Weg in die FAZ gefunden. Oder ist die FAZ etwa den Bloggern hinterher, um sich interessant zu machen?

Die Blogger heißen Airen, Glamourdick, 500Beine, Pippin etc. und ich kannte sie bis vorige Woche nicht. Ich bin nur auf sie gestoßen, weil ich mich mit dem Roman eines Mädchens, Helene Hegemann, beschäftigte, die im Moment von Ullstein als Verkaufsknüller aufgebaut wird. Dieses Mädchen hat einige Passagen ihres Romans von dem Blogger Airen abgeschrieben bzw. gepasted und das ist herausgekommen. Airen selbst findet es nicht so tragisch, aber weil sie die Stellen nicht gekennzeichnet hat, kann man schon sagen, dass es sich um ein Plagiat handelt.

Die Blogger haben in der FAZ ihre Meinung gesagt, wurden interviewt und beschrieben ("Mit Riesenpupillen"), Hegemann bleibt trotz Plagiats für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Was ich cool finde, ist, dass es den Bloggern nicht um die Kohle zu gehen scheint, sondern nur um Authentizität des Erlebten. Deshalb werde ich mir alle Blogs reinziehen, auch wenn ihre Art zu leben und zu schreiben anders als meine ist.

Die Blogger haben mich dran denken lassen, wie es war, als ich noch ausgegangen bin. Die waren, als ich so im Ausgehalter war, gerade mal zehn oder zwölf. Die 80er Jahre mit ihren Themenclubs waren eben vorbei und Acidhouse und dann Techno schwappten aus England rüber. Dann war 1988 oder 89 die erste Loveparade. Die erste oder zweite Loveparade bestand aus zehn Wagen, die über den Ku'damm schrummelten. Ich bin dabeigewesen, auf einem der Wagen. All das habe ich einem Freund zu verdanken, der verschwunden ist: W.

Hey, W, ich moechte dir hier ein kleines Denkmal setzen.

W. lebte ein viel kompromissloseres Leben als ich, die für alles immer ein  bisschen zu feige war. Alles, das heißt Drogen, Exzesse, Blackouts, alles, was W. mit Absicht mitmachte. W. ist vielleicht der Urvater der Blogger, auf jeden Fall würde er sie mögen. W. kannte damals in Berlin die kleinen DJ's, zum Beispiel Kid Paul, die mit zwölf schon auflegten und die großen Wagen für die Loveparade bestellten. Kid Paul ist heute im Alter der Blogger.

Damals war die Loveparade noch keine Kommerzkacke wie heute, wo den Leuten 800 Euro oder mehr aus der Tasche gezogen werden, inklusive Klamottengeld. Ich trug eine rote, weiß gepunktete kurze Hose und eine schwarze Weste aus den 30er Jahren, aus einem Second Hand Laden, der Falbala hieß, und den es nicht mehr gibt. Wir tanzten und tanzten, und auf den Laternenmasten und Bäumen entlang des Ku'Damm saßen die 'Zuschauer wie lustige Affen und winkten. Einmal den Ku'Damm hoch und zurück, wie ich es schon 1000 Mal beim Spazierengehen gemacht hatte, doch diesmal eben tanzen auf dem Wagen, und am Ende ist es ein Regentanz gewesen, am Ende, als wir wieder an der Gedächtniskirche angekommen waren, fing es an zu pladdern und ich glaubte ein wenig an die Wirksamkeit der Eingeborenenrituale in Afrika. Wir haben nur den Glauben an all das verloren. Als eine Freundin des berühmten Werner Herzog im Sterben lag - dies war letzte Woche dem Feuilleton zu entnehmen - marschierte der zu Fuß von München nach Paris. Und als er ankam, war sie schon wieder aus dem Krankenhaus heraus.

Vielleicht würde ich dies auch mal für W. tun, der immer gern krank sein wollte, wie Michael Jackson, sein großes Idol. W. hatte viele Idole. Er versuchte, ebenso dünn zu werden wie Michael, indem er nichts mehr aß. Er stellte Kid Paul nach, den er anhimmelte, er schrieb ihm Briefe wie ein Groupie. Er besuchte ihn jede Nacht im Club. Er ließ sich mit Fremden ein und wachte auf Toiletten wieder auf, ohne zu wissen, was passiert war. In die Schwulenclubs konnte ich ihm nicht folgen, für mich war der Zutritt verboten, und irgendwann trennten sich unsere Wege, wir waren uns fremd geworden. Um Drogen mach ich einen Bogen, ich möchte nicht die Kontrolle verlieren. Ich habe zuviele fertige Leute gesehen. Nur einmal habe ich mit klopfendem Herzen eine Pille gekauft und in einem kleinen Fach meines Portmonees monatelang aufbewahrt. Das war in London. Die Pille sah aus wie ein Smiley. Ich habe sie an W. verschenkt, der auch viel Zeug eingeworfen hat, aber ich weiß nicht, was draus geworden ist. W. schmiss sein ganzes Geld für Platten und Klamotten raus, er hatte keine Zukunftswünsche. Er warf sich mal dem, mal jenem an den Hals. Als Kind hatte er mir auch mal eine Liebeserklärung gemacht und mich auch so angehimmelt wie Michael Jackson. Aber dann wurde er schwul, vielleicht hatte er es sich vorher niemals eingestanden. Er war der erste Junge mit gefärbten Haaren in der Klasse und die anderen behandelten ihn nie nett, heute würde man "mobben" sagen. Aber er blieb sich immer treu. W. ist nicht auffindbar über Google und Co. Vielleicht ist er nicht mehr am Leben, ich traue es ihm zu.

Schön, dass die Blogger und die Hegemann (und ich...) noch ein Gutteil des Lebens vor uns haben. Toll, dass Literatur wieder oeffentliches Thema ist!

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