Faces in the crowd
So heisst der Roman, an dem ich gerade arbeite. Darin geht es um zwei afrikanische Einwanderer und ihre zum Teil lustigen, zum Teil traurigen Erfahrungen in Deutschland.
Hier findet ihr einen kleinen Ausschnitt daraus. Bei Gefallen koennt ihr das Buch auch vorbestellen. Viel Freude beim Lesen.
Literarische Figuren im Zeitalter der unfreiwilligen Komik des Bösen
Neulich, ich trank gerade eine Tasse Tamarindentee, fiel mir ein alter Text ein, den ich vor 15 Jahren geschrieben und in einem ebenso alten englischen Ordner aufgehoben hatte. Ich suchte ihn heraus und möchte ihn hier einstellen, um zu sehen, ob noch etwas dran ist.
Hier ist der (leider unfertige) Text:
Literarische Annahmen
Man kann kaum noch allgemeingültige Aussagen über eine Figur machen, sie vereint meist viele Anschauungen, Lieben, Glauben in sich. Eine fromme Figur kann schnell vom Gottesglauben abfallen, sie verändert ihre Persönlichkeit mit den Kontakten zu anderen Figuren, Weltkonzeptionen, Lebensentwürfen. Frauen verändern sich mit ihren Lieben, verwerfen die eine oder andere politische Anschauung, der sie noch vor kurzem angehangen.
Rilke spricht in den "Briefen an einen jungen Dichter" von der Unabdingbarkeit als einziger Erlaubnis, schreiben zu dürfen. Das Schreiben und das Erfinden von Figuren entspringt unserer Verzweiflung, unserem Glück oder unserem Neid auf den Erfolg Anderer, es kann versiegen, wenn das Furchtbare, über das zu schreiben wäre, und das in unserer Zeit der größtmöglichen Menschenverachtung entspricht, sich dem sprachlichen Ausdruck entzieht (z.B. Amstetten).
Sobald das Furchtbare mit dem Liebsten verknüpft ist, das wir einst hatten, kommt es zum Abfall von allen vormaligen Überzeugungen. Es ist unmöglich, bestimmte Vorgänge zur Darstellung zu bringen, weil sie über unseren Verstand und unsere Darstellungskraft hinausgehen. Und doch gibt es ein winziges Moment der Hoffnung, sie doch noch darzustellen: indem auch der böse Charakter Opfer gesellschaftlicher Determinanten ist, ist auch er wandlungsfähig, bedingt vielleicht durch die Liebe. Ist überhaupt wandlungsfähig in seiner changierenden Erscheinungsweise, sofern er selbst das Böse in seinem Charakter nicht wahrnimmt, ihm gleichsam unterworfen ist bis zum Tod. Es kann zur Darstellung der umliegenden Charaktere und ihrer Reaktionen kommen.
Die Darstellung entzieht sich moralischen Kriterien. Sie stellt die oft lebenslange innere Verheerung des Menschen dar, die Absorbtion durch das changierende Böse, bringt die Nichtigkeit des Lebens zum Tode zum Ausdruck, der einzigen Wahrheit, derer wir gewiss sind. Jemand, ein Philosoph wahrscheinlich, sprach im Radio darüber, dass das Böse heute inmitten des Guten hause. Nirgends sind wir vor ihm sicher. Das Böse, damit ist auch die Gleichgültigkeit gemeint, das Banale, das Wegschalten des Programmes, wenn über eine entsetzliche Tat berichtet wird, zu einer Spielshow. Das Wegschalten und Wegschauen, weil man sich ohnmächtig fühlt angesichts des Bösen, das z.B. im Inneren einer Familie wuchert. Das Böse, das Menschen einander antun aus enttäuschter Liebe, enttäuschten Erwartungen.
Wer sich bis hierhin vorgekämpft hat, der teile mir seine Idee zum Vervollständigen des Textes mit. Wie sollte eine literarische Figur im Spannungsfeld von Kunst und Realität heute sein - oder sollten bestimmte Themen aus der Literatur von vornherein rausgehalten werden?