Beeplog.de - Kostenlose Blogs Hier kostenloses Blog erstellen    Nächstes Blog   


 
Verflechtungen, Buecherkaeufe
Von cityscout2, 27.02.2010, 06:50

Mit folgendem, Begeisterung ausloesenden Zitat des humoristischen Herbert Rosendorfer, der mir durch meinen damaligen Chef in den 1990er Jahren bekannt gemacht wurde (In Buchform: "Briefe in die chinesische Vergangenheit") und von mir zunaechst ignoriert wurde (wegen der komischen Gattung, der fuer mich immer etwas Veraechtliches anhaftete und die ich erst in spaeteren Jahren wertzuschaetzen lernte), man wollte ja "ernsthaft, gross" schreiben...

Heute bemueht man sich unbedingt, der Welt etwas Komisches abzugewinnen, wenn nicht abzuringen, alles andere hat gar keinen Sinn...

Nun endlich das Zitat, das ich meinen geneigten Lesern nicht vorenthalten kann, da es wahr ist:

"Da die Geschichte, die ich Ihnen erzaehle, wahr ist, hat sie den Nachteil, dass sie unendlich nach vorn und hinten und nach allen Seiten hin in andere Geschichten hineinveraestelt und verzweigt ist und dass andere Geschichten in sie hineinragen oder auch nur, fast unbemerkt, wie der Schatten eines fliegenden Vogels ueber sie hinwegziehen,  dass sich ihre Grenzen also nur undeutlich bestimmen lassen im Gewirr der Geschichten, die unser Leben ausmachen, das heisst, in der einzigen, eigentlichen Geschichte, die 'Schoepfung' heisst." ("Was traegt der Mann von Welt auf dem Denkmal? Grosse Prosa", Erftstadt 2006.

Und jetzt haltet euch fest, denn ihr werdet nicht glauben, wo ich diesen Schatz der Literatur gefunden habe, ohne ihn vorher gesucht zu haben, oder sollte man doch lieber behaupten, das Buch habe mich gefunden???

Bei "KIK Textildiskont" (kein Schreibfehler, die Schreibung ist der deutschen in sanften Schulen des dreigliedrigen Ausbildungssystems mit Begeisterung erworbenen Aussprache- und Lesefaehigkeit SANFT angepasst...) in der Grabbelkiste oder besser im Grabbelgitter fuer sage und schreibe Euro 1 (EIN) - wenn das der Rosendorfer wuesste! Wie er verramscht wird. Da hat das Buch Glueck gehabt, dass es mich gefunden hat, oder verlaufen sich noch andere Gebildete und Rosendorfer-Kenner in den politisch unkorrekten Laden, wo Kleidung verkauft wird, die vermutlich mithilfe arbeitender Kinder in Bangladesh und so hergestellt wird und dann von V. Pooth, geborene Feldbusch auf billigen Prospekten, die der Tagespresse beiliegen, beworben wird???

Die Antwort lautet: Natuerlich! Dafuer gibt es mehrere Gruende, von denen mir zwei ins Auge stechen, weil das alles auf die Verflechtungen von Denken und Kultur mit den Strukturen unserer Wirklichkeit hinweist (in Wahrheit sind wir nur ein Faedchen der Schoepfungsgeschichte, vielleicht vergessen in einer Zeitfalte eines noch groesseren Zusammenhanges als wir ahnen...

ERSTENS: Die Frau links neben mir haette eine arbeitslose Intellektuelle sein koennen, die wegen Hartz IV, das ja viel zuwenig und noch nicht erhoeht und "dank" Westerschwalle auch moeglicherweise nie erhoeht werden, sondern gestrichen werden koennte, ausschliesslich bei KIK Diskont einkauft und die sich freut, neben all den unbekannten Titeln aus dem Groschenromanuniversum auf etwas Vertrautes zu stossen, aber da sie nicht mehr liest, weil sie enttaeuscht ist, dass sie nach jahrzehntelangem Lesen und Studieren damit kein Geld verdienen kann, sondern, nach der Streichung von Hartz IV und Anordnung von Zwangsarbeit fuer angeblich faule Intellektuelle durch Laesterschwester, bei KIK Diskont als Aushilfe fuer einen Euro pro Tag jobben muesste und sich von den anderen Angestellten ohne Ausbildung herumkommandieren lassen muesste, das Buch nicht kauft, sondern lieber ein exklusiv wirkendes, nach einer Waesche aber auseinanderfallendes Dessou, weil es sie an ihre besten Zeiten als reiche, von einer Erbschaft lebenden Studentin erinnert. 

ZWEITENS: Die Frau rechts neben mir (war eigentlich ein Mann, aber hier gibts keine Maennerquote...) hatte auch ein kaufsuechtiger Leiter einer Versicherungsagentur aus Hoexter sein koennen, der zum Einkaufen extra in die naechstgroessere Stadt faehrt, weil es ihm peinlich waere, in Hoexter schon wieder von Versicherungsmitgliedern, die ihn alle persoenlich kennen, bei KIK Diskont angetroffen zu werden. Auch er verfuegt ueber ein geruettelt Mass an Kultur und Bildung, das jedoch nur durch staendige geistige Umwaelzung erhalten werden kann und sich deswegen bei ihm, seit er vor 10 Jahren bei der Versicherung anfing und zum ersten Mal im Leben mehr als 1000 Euro im Monat verdiente, auf den lateinischen Zitatenschatz seines frueheren Chefs beschraenkt, die dieser immer in Gespraeche eingeflochten hatte, um vor Kunden intellektuell zu wirken. Die uebrige Bildung, die er waehrend seines abgebrochenen Studiums erworben hatte, lagert inzwischen in Steinbruechen seiner Gehirnwueste und koennte nur durch Kinderarbeit wieder abgeschlagen und verlebendigt werden (wie in Indien, wo unsere Grabsteine aus Granit hergestellt werden, woran die Kleinen dann kurz nach dem Erwachsenwerden sterben muessen - zum Glueck gibt es jetzt auf Anregung zweier, natuerlich deutscher, Steinmetze das GUETESIEGEL FAIR HERGESTELLTER GRABSTEINE! ), aber da er nie Zeit hatte, um Kinder zu produzieren, kann bei ihm auch nichts mehr abgeschlagen werden und er hat alle Abende frei (ausser die, an denen er mit einer Internetbekannten ins Kino geht). Er kauft sich den Rosendorfer und beim Kauf werden wie ueblich Lusthormone in ihm ausgeschuettet, das ist schoener als ein kompliziertes Gespraech mit einer langjaehrigen Partnerin Freitag abends am Kuechentisch, und deswegen kauft er noch ein Silbertablett fuer 2 Euro und eine Knaeckebrotdose fuer 1 Euro und, weil es draussen schon waermer wird, einen Strauss Plastikforsythien, die aber im Pulk immer schoener wirken, als dann einzeln gekauft. Oh, pardon, die Frau ist im Text aus Versehen wieder ein Mann geworden! Also tauscht bitte einfach die Pronomen aus.

Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja: Der Rosendorfer war so erschreckend guenstig, dass er mich an mein Exemplar von Anna Karenina erinnerte, das ich 1987 in Ungarn fuer 23 Pfennig kaufte. An der Kasse blickte die Verkaeuferin ganz interessiert auf meinen Buecherkauf und ich sagte ihr, dass der Rosendorfer ein ganz toller Autor sei und dass man bei KIK Diskont wahre Schaetze finden koenne, worauf sie laechelte und mir zustimmte.

Vor lauter Schreck rannte ich dann noch zu Linnemann und kaufte vom dortigen Grabbeltisch Tanja Dueckers "Morgen nach Utopia" und einen Band aus der Werkausgabe von Alfred Polgar. Die kosteten wenigstens 2 Euro...Aber davon ein anderes Mal.  

 

[Kommentare (0) | Permalink]


Kommentar zu diesem Eintrag erstellen:

Name:
(Gast)

Möchtest du als Registrierter schreiben, dann kannst du dich hier einloggen oder neu registrieren!

Bitte übertrage die folgende Zahl in das Feld:


Text:

 



Blog powered by Beeplog.de

Die auf Weblogs sichtbaren Daten und Inhalte stammen von
Privatpersonen. Beepworld ist hierfür nicht verantwortlich.

 

Login / Verwaltung
 · Anmelden!

Kalender
« April, 2024 »
Mo Di Mi Do Fr Sa So
1234567
891011121314
15161718192021
22232425262728
2930     

Kategorien
 · Allgemeines (91)
 · Geschichten (4)
 · HERZLICH WILLKOMMEN (1)
 · Lesungen buchen (2)
 · Lyrik (3)
 · Roman (2)

Links
 · Rangliste Pressefreiheit
 · Über die weitgehend unbekannte Krankheit Noma
 · www.utopia.de Ökoportal
 · Safe motherhood quilt project
 · Fairtrade Deutschland
 · Hier gehts zu Rapunzel Naturkost
 · malala

Inhalt
# Ein gutes Jahr 2013.../ Weihnachtsspecial (Tragi-Satire)/ Olle Freunde (Bildnis der Diva als Familienmutter und mal wieder Georg Klein)/ Safe motherhood quilt project (Über das Projekt der Hebamme Ina May Gaskin)/ Anthologie/ Browsender Sturm/ Gehts noch langweiliger?(Über den neuen "Erwachsenenroman" von Joanne K. Rowling)/ Ein Herz für Lyrik (Hildesheimer Lyrikpreis 2012)/ documenta- yes!/Vergessen - nicht von cityscout (Über Bettina Galvagni)/Lasst die Spinnen in Ruhe/Farbe wechseln (Zum Film "Adopted", in dem einsame Europäer von afrikanischen Familien adoptiert werden)/Hurra 2012/Bedrückende Rücken (Zum neuen Roman "Rücken an Rücken" von Julia Franck/Monikas Denken (Zum Gedicht "Ich habe heut' Nacht mein Denken gesehen" von Monika Rinck, Kritik von Ann Cotten/Il y avait un jardin/Noch mehr Promi-News/Promi-News/Film für Lebensmüde (Über "Das große Fressen"/Nachlese/Lebenswille/Spendet für die Kinder in Kenia/Endlich Kempowski - Verkehrte Welt/Neue Tipps (Über Frau Freitag, Autorin des Bestsellers "Chill mal, Frau Freitag" und einen Tunnel unter der Seine/in memoriam Heidi W./Gesehen bei Ehrensenf/Wer ist Alain Delon?/Felix cityscout/Zeitenwende/Idealismus today/Lektüre 2011/Ständig Essen/Merry Christmas 2010/Abenteuer im Naturkostladen/Lyrikfestival Wien/Herbstzauber/Peter hat den Preis/Julia Hartwig/Freundinnen, Täuschungen, Hilfebitten (Über die Regisseurin Emily Atef)/Phó/Zeitklammer/Willemsens Wut/Mira la Mira/Perlen aus dem Ramsch (H.M.Enzensberger und Malika Mokkedem auf dem Grabbeltisch)/Kunstkopf/Etwas schaffen/Ist da wer?/Literaturkritik/Gräber, Aktuelles, Georg Klein/Lesefutter (Sophie von Behr:"Ida und Laura"; Clemens Meyer "Die Stadt, die Lichter"; Alice Smeets "Haiti Chérie")/Happy Hausfrauen/Kriegsenkel/Verflechtungen, Bücherkäufe/Falbala/Blogger, Weggehen und W./minima mirabilia/Musenmusik und Mammon/Feridun Zaimoglu und ich/F.A.Z., Meyer und ich/P. , Proust und ich/Zum Mauerfall/Writer's Blog (Intro)

RSS Feed

letzte Einträge
 · Corona Times
 ·  LESUNGEN UND PROJEKTE 2018
 · LESUNGEN
 · Schön, euch zu sehen
 · LYRIKBAND ERSCHEINT

letzte Kommentare
 · Das ist super. Ich glaube,
 · TUN WIR. Ich wünsche im ne
 · Die Interpretation wird si
 · Wie interpretierst du dies
 · Ja, die Loveparade ist ver