Etwas schaffen
Harry Rowohlt kommt zur Lesung und damit kommen Erinnerungen an einen, der ihn auch schätzte und auch halber Penner war, aber wie soviele besondere Menschen nie das Licht der Öffentlichkeit erstürmte: Malte.
Malte und ich hatten eine ähnliche Auffassung, was gute Literatur beinhalten sollte. Und dabei war es egal, ob der Verfasser Penner war oder Nobelpreisträger, denn wir beide hatten die Schatten- und Sonnenseiten der Welt ganz gut im Blick, um niemals übersteigerten Vorurteilen anheimzufallen.
Wir waren "arme" Studenten, arm im Vergleich zu Landsleuten wie damals Lars Windhorst oder auch nur im Vergleich zu einfachen Bankangestellten, aber reich an Ideen! (Und natürlich wirtschaftlich reich, gemessen am Lebensstandard des Großteils der Weltbevölkerung)
Und Harry Rowohlt fanden wir gut, um nicht zu sagen "cool", damals im Prenzlauer Berg, obwohl er schon alt war, genauso wie Penner Joschi, einst Fleischer, dann irgendwann gescheitert, geschieden und gefeuert, auf der Straße gelandet und in den 1990er Jahren für ein Happening von Kunststudenten als Schafhenker engagiert, genauso wie Peter Wawerzinek, dessen Texte mir zwar etwas zu eigenartig, um nicht zu sagen: umständlich geschrieben, schienen (genau gelesen habe ich sie wohl nie), aber der bei Lesungen in besetzten Häusern wunderbar besoffen und authentisch war.
Eines Sommers im Hinterhof der jetzt wahrscheinlich völlig kaputtrenovierten und mit Touristenunterkünften vollgestopften Kastanienallee (Wo wir auch noch Christoph Schlingensief im gesunden Zustand im Café begegneten, übrigens ein sehr freundlich wirkender Mensch, dessen Aktionen ich immer ganz witzig und mutig fand) kämpfte er bei sinkender Dunkelheit mit der Lampe auf seinem Lesetisch und wir lachten in unsere Bierflaschen.
Naja, vielleicht werde ich mal zu Harry Rowohlt gehen und die 14 Euro Eintritt berappen (schließlich bin ich kein Pressefuzzi mehr wie Benjamin von Stuckrad-Barre :), obwohl ich es ganz schön popstarmäßig teuer finde. Brauchen die Geld (Kollege liest auch vor)? Und dabei ein bisschen an Malte und die alten Zeiten denken, schließlich gibt es ihn noch, er hat mir vor ein paar Monaten gemailt, ein wenig distanziert zwar, obwohl man sich seinerzeit "ewige Freundschaft" geschworen hatte, aber was verändert der Alkohol nicht alles im Menschen.
Unsere letzte Begegnung war etwas seltsam: Ich mit dem Neugeborenen auf dem Arm, er zu Besuch wie die 12. böse Fee bei Dornröschen, wobei er dem Baby zwar nicht den Tod wünschte, sondern über ein noch schlimmeres Schicksal des jungen Lebens orakelte. Was genau, das möchte ich hier nicht wiederholen, denn von anderen Kulturen habe ich gelernt, dass man auch etwas herbeireden kann!
Warum wohl? Sein Humor war eben etwas abgeschwärzt während all der Säuferjahre und ein Baby ist ja nun das Gegensymbol per se gegen jeglichen Verfall...
Ich habe ja irgendwann keinen Alkohol und keine Zigaretten mehr vertragen und mit ihnen meine zuweilen leichtsinnige Jugend verabschiedet. Allerdings war ich auch niemals ein halber Penner. Manche waren ja sogar für eine bestimmte Zeit mit Absicht auf der Straße, z.B. Helmut Krausser. Das sind so die Freiheiten der westeuropäischen Welt, in afrikanischen Ländern würde sich niemand freiwillig aussuchen, Penner zu sein. Wenn man es wird, wird man vom Schicksal dazu gezwungen oder ist von Soldaten ausgeraubt worden.
Hierzulande sind es meist Jugendliche, die keine gute Elternbeziehung haben oder Erwachsene, die ihre wahren Träume nie verwirklichen konnten und die Wirklichkeit im Alkohol vermuteten. Wahre Träume - welches Paradox!
Harry Rowohlt bleibt trotzdem eine Art cooles Idol von uns, weil er nicht verlogen ist, sondern seine Träume anscheinend gelebt hat.
Gruß an Malte, nun hast du endlich einmal das Licht der Öffentlichkeit, wenn auch einer kleinen, erobert! Du würdest es wahrscheinlich nicht einmal wollen, aber es ist Schicksal, mit einer Autorin bekannt zu sein, da wird man leicht ausgebeutet auf der Jagd nach Material.