vergessen - nicht von cityscout!
Ca. 1995 lernte ich eine junge, sehr junge Autorin kennen, jünger als ich.
Sie hieß Bettina Galvagni und war 19 Jahre alt.
Ein Bekannter, der eben dabei war, Kontakte zum Literaturhaus in der Berliner Fasanenstraße zu knüpfen, lud mich ein, zu ihrer Lesung zu kommen, da erfahrungsgemäß "bei solchen Lesungen Wenige kommen".
Ich also hin, wohnte eh um die Ecke.
Da Bettina Südtirolerin ist, begleitete mich auch ein Südtiroler Freund, der sich für Literatur interessierte, zu der Veranstaltung.
Was folgte, war eine Lesung aus ihrem Roman "Melancholia" mit anschließendem Empfang im kleinen Kreis in den Räumen des Literaturhauses, und wir lernten Bettina kennen.
Tatsächlich waren zu der Lesung nur ca. 5-10 Menschen erschienen, während zu Lesungen junger Hype- oder Oral poetry-Autoren stets brechend volle Sääle sind.
Warum?
Nun ja, erstens wurde wahrscheinlich kein Geld für Werbung ausgegeben.
Zweitens, Amazon und Facebook gab's noch nicht.
Drittens, der Roman ist traurig.
Viertens, die Autorin war auch melancholisch.
Da war kein Hype, kein Spaßfaktor, kein Brüller,
nur ein zerbrechlicher, sehr netter Mensch, der sich in den Literaturbetrieb vorwagte, zwei Romane, ein paar Gedichte und Artikel schrieb und dann wieder abtauchte, wahrscheinlich weil der zweite Roman verrissen wurde.
Schade!
In dem Roman "Melancholia" ging es um ein Mädchen, das ständig seine Strickjacke aus- und anzieht, Reclam-Bücher sammelt und ansonsten Probleme mit seiner Mutter hat, wahrscheinlich auch magersüchtig ist. Die Sprache war sehr intensiv, ich kann mich gut daran erinnern, bis heute, 17 Jahre später. Ihrem zwoten Buch "Persona", das ich soeben für 1 Cent bei A. erstanden habe und worauf ich sehr gespannt bin, wurde vorgeworfen, "keine eigene Sprache" zu haben.
Bettina war solche Holzhammer-Kritik wahrscheinlich zu blöde, um noch mehr Romane zu schreiben.
Sie gilt inzwischen als "Fräuleinwunder vom Grabbeltisch - Vergessene Autoren":
www.zeit.de/online/2008/14/vergessene-autoren
Ich habe noch zwei kleine, zarte und eigenartige Briefe von Bettina empfangen und seither nichts mehr von ihr gehört. Sie ist jetzt Ärztin in Paris.
2008 veröffentlichte sie mit Friederike Mayröcker und einem Typen, den ich nicht kenne, die Lyriksammlung "Kassandra im Fenster". Dieses Buch gibt es nicht bei Amazon, das ist ja schon einmal was Besonderes! Als ich bei Google "Druckversion bestellen" anklickte ("E-book nicht vorhanden"), kam ein neuer Button: "Buchhandlungen in Ihrer Nähe"...
Na, das ist ja ein toller Tipp!
Liebe Bettina, wenn du dies liest, schreib doch mal wieder!!!
Also nicht unbedingt mir, sondern überhaupt.
Ich würd mich echt freuen. Denn auf das Schreiben kommt es an!
Dein Lyrikscout