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Donnerstag, 25. März 2010

Graeber, Aktuelles, Georg Klein
Von cityscout2, 15:41

Nachricht aus Berlin: Herr S. ist tot, und mit ihm stirbt eine Aera, die Aera der Wehrdienstverweigerer, die aus der Bundesrepublik nach Berlin fluechteten und dort studierten.

Herr S., das war ein Junggebliebener im weissen Leinenanzug, das bereits lichte dunkle Haar trug er hinten immer noch lang, und das hat sich nie geaendert, soweit ich es mitbekommen habe. Sommers sass er vor dem griechischen Restaurant um die Ecke,  rauchend auf dem Holzstuhl, plaudernd.

Herr S., Architekt, Junggeselle mit Freundin, seit 30 Jahren waren sie nicht verheiratet. Ein ueberdimensionales Foto von ihr stand 1987 in seiner 4-Zimmer-Altbauwohnung, die er allein bewohnte, ein Foto in Starschnitt-Groesse (Starschnitte waren die Promi-Fotos zum Zusammenkleben in Lebensgroesse aus der Bravo in den 80ern), Frau O. im Bikini in Griechenland oder Kenia, wohin sie gerne reisten.

Herr S. kam 1973 als Student nach Berlin, mit einem "BI" auf dem Autokennzeichen, weshalb er von meiner Familie nur als "Bi-Mann" bezeichnet wurde (Ein Wort, das mich stets an "Biwak" erinnerte). Er zog in die Wohnung ueber ihnen und machte da eine Studenten-Wohngemeinschaft auf.

Zehn Jahre spaeter mussten die ehemaligen Mitstudenten, wenn sie nicht schon wieder fort waren (sogar an einen Perser, Mehdi, kann ich mich erinnern!), ausziehen, denn Herr S., inzwischen arriviert, kaufte sich das Domizil. Seine Mutter kam oefter mal vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Geheiratet hat ihr Sohn, wie gesagt, nie. Vielleicht wollte er unabhaengig sein? Mein Vater konnte ihn gut leiden, weil er studiert hatte und sich sprachlich sehr gut auszudruecken wusste. Er hatte ihm erzaehlt, dass er, S., auch mal ein paar Semester Jura studiert haette.

Seine Wohnung allerdings war immer unordentlich geblieben wie eine "Studentenwohnung", graue Veloursmatratzen auf den Dielen, Buecherstapel an den Waenden, Zeitschriftenstapel des "Spiegel" und der "ZEIT" daneben, Papiere, Papiere, Papiere, auf runden, eckigen und Kuechentischen, Staub auf den grossen Fenstern, getrocknete Wassertropfen im dunkelbraunen(!)Waschbecken (gibt es dunkelbraunen Marmor???), ein Rennrad im ansonsten leeren Balkonzimmer, sogar ein Geruch von Leere...

Herr S., ein Baum von Mann (wie oft beschwerten sich meine Eltern ueber seinen Ruebezahl-Schritt ueber ihren Koepfen: "Der S. ist aufgestanden..."), fiel mit 66 Jahren zwischen Badezimmer und Flur um, meinen 10 Jahre aelteren Vater, der ihn um seine Jugend immer ein wenig beneidet hatte, rief er an, weil er das Handy zum Glueck griffbereit hatte, zwei Tage spaeter brachte ihn Frau O. ins Krankenhaus (er hatte erst nicht gewollt), und dann verstarb er letzten Dienstag an einer Embolie.

Seine Wohnung vererbte er Frau O., weswegen meine Mutter jetzt Sorge hat, es wuerde bald oben "trappeln".

Mit diesem Tod hatte wirklich niemand von uns gerechnet. so richtig kann ich mir nicht vorstellen, dass er bald in seinem Grab liegt, so wie es mir letztes Jahr bei unserer Nachbarin ging, die an Bauchspeicheldruesenkrebs starb. Bei ihrer Beerdigung war vor der Trauerhalle ein derartig lautes Gerede der Trauergaeste, dass die, die IN der Trauerhalle Platz genommen hatten und der Trauerfeier zuhoeren wollten, die schwere Tuer schliessen mussten. Aufgrund der Mitgliedschaft ihres Ehemannes in irgendsoeinem hiesigen Verein war die Zahl der Trauergaeste nicht mehr ueberschaubar. Der Trauerzug glich dem von Prominenten, also in der Laenge, meine ich. Es regnete und meine Tochter wurde fuer ihre Bravheit gelobt, sie war ganz andaechtig. Spaeter schlief sie in ihrem Wagen ein und wir hatten Angst, dass sie sich erkaeltete, denn es regnete in Strippen, wie meine Familie es bezeichnet haette. Toll, so eine Riesentrauergemeinde, dachte ich. Und dachte an die Beerdigung eines unserer Angehoerigen zurueck, wo gerade mal wir, also fuenf Leute, in der Kirche waren. Bei der Trauerfeier auf dem Friedhof waren es dann 2 mehr, aber weil meine Verwandte, die Ehefrau des Verstorbenen, im Moment nicht mit denen redete, drueckten sie ihr bloss die Blumen in die Hand und ver-drueckten sich dann wieder. Nach der Beerdigung gab es auch keinen Leichenschmaus. Ich finde diesen Brauch in laendlichen Gegenden ja schoen, von der Familie her ist er mir gaenzlich fremd. Meine angestammte Familie ging, nachdem der Sarg unseres Verwandten eingesenkt worden war, sofort nach Hause, liess sich in ihre Sessel plumpsen und seufzte fast im Chor: "Geschafft, zu Hause ist es doch am schoensten!"

Auch zum Leichenschmaus des Herrn S. koennen sie, wie sie mir mitgeteilt haben, nicht gehen, denn  dieser findet in einem weit entfernten Stadtteil von Berlin statt, und das ist ihnen zu beschwerlich. Waere ich noch dort, ich wuerde vielleicht hingehen, obwohl ich seit 10 Jahren und ueberhaupt eigentlich nie mit Herrn S. ein laengeres Gespraech gefuehrt habe.

In anderen Laendern, zum Beispiel in Nigeria, woher die Hauptfigur meines Romans stammt, sind Beerdigungen wie auch Hochzeiten und andere Familienfeiern ungeheuer wichtig. Wenn jemand verstorben ist, wird das fuer die engsten Angehoerigen der betreffenden Person richtig teuer. Denn die Trauerfeierlichkeiten dauern 7 Tage, und da kommen nicht nur eingeladene Gaeste, sondern alle Menschen, die den Verblichenen kannten, mitsamt ihren Angehoerigen, also im Falle einer Dame, die ich kannte, das ganze Dorf. Das koennen dann leicht 1000 Leute sein, die man bewirten muss. Dazu muss man einige Kuehe kaufen und schlachten, aber damit nicht genug. In bestimmten zeitlichen Abstaenden wiederholt sich diese Feier zum Gedenken des Verblichenen, eigentlich ein schoener Brauch. Die letzte Gedenkfeier ist nach einem Jahr, bei uns noch erhalten in der Tradition des Jahresseelenamtes. Aber den meisten Menschen in unserer Gesellschaft ist es ja unangenehm, mit einem Thema wie dem Tod im wirklichen Leben konfrontiert zu werden, das geht sogar soweit, dass sie die Strassenseite wechseln, wenn ihnen die Angehoerige eines Verstorbenen entgegenkommt, weil sie sich vor troestenden Worten druecken wollen oder einfach unfaehig sind, welche auszusprechen. Die Nachbarin, von der ich oben sprach, habe ich in Erinnerung wie sie im Fruehjahr Bluemchen pflanzte und ihr blondiertes Haar und ihre stets  gebraeunte Haut beim kleinsten Sonnenstrahl auf der Terrasse zeigte. Kurz vor ihrem Tod bot ich ihr an, sie zu besuchen, um ihr zu zeigen, dass sie fuer mich nicht unsichtbar geworden war, nur weil sie krank war. Sie laechelte freundlich und sagte, das koenne ich gern machen. Gegenueber im Erdgeschoss wohnte eine andere Frau, die mal ihre Schulkameradin gewesen war, aber jetzt verstanden sie sich schon lange nicht mehr. Diese Frau besuchte sie wirklich noch einmal und tratschte dann herum, wie die Kranke "gerochen" habe... Diese Art von Krankenbesuchen ist natuerlich widerlich. Natuerlich stelzte diese Nachbarin auch bei der Beerdigung ihrer Nachbarin herum. Beim Verlassen des Friedhofs nahm ich jenen eigenartigen Geruch wahr, den man eigentlich nicht riechen moechte, ich war eben an der offen stehenden Tuer des Krematoriums vorbeigegangen, wo man im Augenblick mit etwas hantierte. Normalerweise ist diese Tuer ja verschlossen.

Und nun muss ich leider einen harten Schwenk machen: Leider heute morgen wieder Radio gehoert, zum Thema Seele:

Kinder, die sexuellen Uebergriffen von Erwachsenen ausgesetzt waren, werden wohl oft erst im Grab ihre Ruhe finden, denn ihre Seele ist zerstoert. Der Papst, so war es heute zu hoeren, wurde 1996 informiert, dass ein Priester in Milwaukee 200 taubstumme Jungen sexuell belaestigt haben soll (ich vermeide hier das Wort Missbrauch, denn, wie jemand in der ZEIT so klug geschrieben hat, wenn ein Missbrauch von Kindern existierte, dann gaebe es ja auch einen GE-brauch, und das ist absurd, aber dies sind so sprachliche Feinheiten.), und er hat nix getan.

Leider sind meine schon seit Jahrzehnten existierenden Zweifel gegen meine Kirche durch die ganzen Skandale erhaertet, bestaetigt und weit uebertroffen worden! Hexenverbrennung und andere Verbrechen der Kirche hatten mich hellhoerig gemacht. Aber diese Skandale, die jetzt ans Licht kommen, machen das Mass voll. Und ich sagte zu einer evangelischen Bekannten, die auch im kirchlichen Bereich arbeitet: Waere es eine Frauenorganisation, waere all das nie passiert. Sie schraenkte mein Diktum natuerlich sofort ein ("Auch Frauen sind zu SOWAS faehig"), wie Frauen nun mal sind, konnte mir aber zustimmen, was das Ausmass anbelangt.

Also meine Forderung: Den Papst absetzen, eine Frau einsetzen! Ueberhaupt alle Maenneraemter in dieser Kirche mit Frauen besetzen! Nur dann kann diese Organisation wieder an Glaubwuerdigkeit gewinnen. Bei mir hat sich auf jeden Fall alles Vertrauen, sollte mal eins bestanden haben, verfluechtigt.

Der letzte Schwenk zum Thema Graeber, Aktuelles, kommt jetzt, und meine Leser moegen selbst beurteilen, ob er ebenso hart ist wie der letzte: Georg Klein hat mit seinem Roman "Roman unserer Kindheit" den Preis der Leipziger Buchmesse oder den Deutschen Buchpreis gewonnen. Er soll in seiner Dankesrede den TOTEN gedankt haben, ohne die sein Roman nicht moeglich gewesen waere. Diesen Dank fanden sie im Radio ungewoehnlich, aber gut. Dem schliesse ich mich hier an und empfehle mich. Macht es gut, geniesst jeden Tag, aber vergesst auch nicht eure Teuren Toten, denkt ihr noch ab und zu an sie?.

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