NICHT OHNE MEINEN EIERSCHNEIDER
Ich besitze einen alten Eierschneider, "Made in Germany West", der mindestens, na, sagen wir, 60 Jahre auf dem Buckel hat. Ein fast so unverwüstliches Ding wie meine geerbte Kartoffelpresse, mit der immer zu Festen und Feiertagen die familiären Klöße hergestellt wurden. Zu solchen Diensten wurde mein Großvater eingespannt, genauso wie zum Kartoffel-Reiben für Puffer. Er konnte das am besten. Nicht so das Eierschneiden. Das machten die weiblichen Familienmitglieder. Eine zutiefst poetische Angelegenheit, wie da das wahrscheinlich kalte Ei (ich versuchte es neulich mit einem heißen Ei, das war nix) in die Ausbuchtung gelegt wurde, die eine gestreifte Mischung aus Viereck und Oval ist.
Und dann die feinen Drähte, die wie bei einer Harfe nebeneinander angeordnet sind und auf das Ei heruntergeklappt werden, es in Scheiben schneiden. Wegen dieser Drähte nennt oder nannte man den Eierschneider in Berlin auch "Eierharfe".
Das Baby, "Forschergeist in Windeln", wird, nachdem es fasziniert das Zerschneiden des Eis beobachtet hat, natürlich versuchen, alle möglichen Dinge in den Eierschneider zu legen und in Scheiben zu schneiden. Es könnte versuchen, eine Kelle aus dem 20. Jahrhundert hineinzulegen, die ist auch zum Teil rund. Damit hätte es schon erkannt, dass man runde Dinge in die Ausbuchtung legen soll. Es könnte aber auch probieren, wie sich Blätter, Brot oder Blumenerde oder ein Teebeutel in Scheiben schneiden lassen...
Ich denke an einen jungen Bekannten, der zu gemeinsamen Frühstücken mit der Singgruppe immer hartgekochte Eier, einen winzigen Salzstreuer und einen Eierschneider mitbrachte. Ich weiß nicht, ob der auch so alt war wie meiner, aber es könnte sein, sprach doch dieser Junge oft von seinem Großvater.
Wer unseren Schneider mit in die Familie gebracht hat, ist nicht bekannt. Ich könnte meine Tante fragen, aber die ist schon 1968 bei uns ausgezogen. Es könnte sein, dass der Eierschneider gemeinschaftlich angeschafft wurde, um die Platten mit Häppchen bzw. Kanapées oder Kaviarbroten, die in den 60er Jahren zu Festen und Taufen angerichtet wurden, mit Eierscheiben zu dekorieren.
Diese Eierscheiben sind aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Allenfalls im Hinterstübchen der Backketten, wo fleißige Minijobberinnen optisch attraktive belegte Baguettebrötchen herstellen (das versuchte mir in Berlin mal eine sehr nette Dame beizubringen, als ich selbst in einer Backkette anheuerte, ist gar nicht so einfach; dort gab es jedoch KEINEN Eierschneider, jedenfalls kann ich mich nicht dran erinnern. Entweder schnitten wir das Ei mit dem Messer oder die Eier wurden fertig geschnitten angeliefert, so wie die Masse für das Rührei. Einen tollen Trick zum Tortenschneiden habe ich mir aber gemerkt: Tauche das Messer vorher in heißes (?) Wasser, dann sieht das abgeschnittene Tortenstück nicht so unordentlich aus!)
werden noch Eierschneider eingesetzt.
Oder im Hotel Adlon.
Oder etwa doch?
Ein Blick auf Wikipedia ergab, dass der Eierschneider in unverändertem Design immer noch bei WMF und Co. erhältlich ist, und zwar UNVERÄNDERT SEIT SEINER ERFINDUNG im Jahre 1908.
Außerdem ist dort zu lesen, dass er einer der ersten Welterfolge im Bereich der Massenprodukte gewesen ist und seinem Erfinder Ruhm und Ehre ei(N)gebracht hat. Bei eBay gibt es sogar einen Eierstifte-Schneider, da muss man die Drähte dann einmal längs und einmal quer auf das Ei niedersausen lassen.
Das erinnert mich an meine Maschine aus der Kinderzeitschrift "YPS", mit der man VIERECKIGE Eier zaubern konnte, ein absoluter Hingucker. Die Erwachsenen, die zwar Eierschneider besaßen, aber ansonsten nicht darüber philosophierten, fanden das natürlich "QUATSCH", auf den Link wären sie gar nicht gekommen. Die viereckigen Eier hätten auch schlecht in den Eierschneider gepasst.
Da ich das alles so herrlich poetisch finde, habe ich beschlossen, meinen Eierschneider jetzt auch überall mitzuführen, zum Beispiel ins Operncafé, das es nicht mehr gibt. Dort bestelle ich mir ein Sektfrühstück für Zwei (es könnte ja sein, dass noch jemand kommt, wenn nicht, hab ich ein Doggybag mit...), da sind zwei mittelhartgekochte Eier dabei, und während ich "Die Eroberung des Nutzlosen" von Werner Herzog lese, frühstücke ich, indem ich mir zwischen den Zeilen ein Eibrötchen mit Eierscheiben mache (und nicht mit so Rührei aus Fertig-Vollei, das schmutziggelb in Plastikkanistern an die gastronomischen Betriebe geliefert wird), die ich mithilfe meines Schneiders hergestellt habe!
Wenn das nicht ein Anlass für Gespräche ist.
Nur schade, dass das Operncafé nicht mehr existiert.
Könnte natürlich auch ein Picknick machen, wenn es endlich mal wärmer wird, dann würde ich Eier von meinen eigenen Hühnern mitnehmen. Dabei läse ich Sarah Wieners Nachhaltgkeitsschriften, wie am letzten Wochenende in der TAZ eine Kostprobe stand. Sie sah auf den Fotos ganz schön müde aus von ihrem Kampf um Nachhaltigkeit, aber den unterstütze ich voll.
"Iss nur etwas, was deine Großmutter als Essen erkannt hätte!" Ja, woher soll man das bitte wissen? Das Essen vom fahrbaren Mittagstisch war es jedenfalls nicht. Das kippte sie auch immer gerne weg. Fragen kann man nun nicht mehr. Aber Eierscheiben waren sowieso nicht dabei.